#3 INHABITATIONS

Dina El Kaisy Friemuth & Leonie Kellein
Förderpreise 2021/22

Digitale Räume lassen sich nicht auf Bildschirme und Festplatten beschränken; in ihnen werden Freundschaften gepflegt, Urlaube gebucht und Wohnungen vermietet. Was als analog wahrgenommen wird, steht meist zumindest in Verbindung zu digitalen Netzwerken und Medien – und schafft so besondere Formen von Öffentlichkeit, die sich an manchen Stellen öffnen, an anderen wiederum verschließen. Sie sind geprägt davon, wie Menschen Einblicke in ihr Privatleben geben und Wissen teilen. Gleichzeitig können diese Einblicke und Beziehungen über die persönliche Begegnung hinausgehen, indem sie Geschichten archivieren und dokumentieren. Kameras und Bildschirme setzen außerdem Perspektiven, die nicht mehr notwendigerweise von Menschen bestimmt werden, sondern ein Eigenleben entwickeln. Wenn heute also neue Räume entstehen, wie können diese bewohnt werden? Welche Erzählungen und Blickwinkel ergeben sich daraus?

INHABITATIONS präsentiert die Arbeiten der Förderpreisträgerinnen der Arthur Boskamp-Stiftung 2021/22 Dina El Kaisy Friemuth und Leonie Kellein. Sie beschäftigen sich mit Verhältnissen und Widersprüchen, die neue Vorstellungen von Körper und Gemeinschaft un:sichtbar machen. Ihre Arbeiten unterlaufen vorgegebene Ideen von Raum und Blick, indem sie Räume selbst einnehmen. INHABITATIONS stellt vor diesem Hintergrund nicht nur zwei Positionen vor, sondern setzt sie vor allem als Formen des Sehens und Erzählens zueinander in Beziehung; und stellt so die Frage nach Komplizenschaft mit machtvollen Perspektiven genauso wie die nach Möglichkeiten des Widerstandes.

Leonie Kellein: A Wing Beat! A Wing Beat! (2022)

Was passiert, wenn ein Tier den Blick von Kameratechnologien übernimmt? Wo liegen die Übergänge zwischen Objekt und Subjekt, Trägermaterial und Handlung? Leonie Kelleins multimediale Installation A Wing Beat! A Wing Beat! schafft einen Echoraum zwischen Kamerablick, Tier und im Raum installierten Objekten. Ein Video zeigt Aufzeichnungen einer Kamera, die von einer Taube transportiert wird – und somit wie eine Drohne funktioniert. Während im Video Aufzeichnungen des Hohenlockstedter Umlands zu sehen sind, geht die Installation mit Sound und Objekten auf den Körper der Taube selbst ein. Deutlich wird darin die nie ganz greifbare Perspektive einer Art Zwischenwelt, die weder technisch noch menschlich noch tierisch ist. Sie findet auf verschiedene Weise Gestalt, jedoch immer nur als Abdruck und Umhüllung eines abwesenden Körpers. Die im Raum arrangierten Elemente hinterfragen die Idee dienender Technologien und Vorkehrungen, indem sie ihre Resonanzen ausstellen; Nachrichtenübermittler, Trägermaterial und Hülle werden zu eigenständigen Akteuren, die miteinander korrespondieren. A Wing Beat! A Wing Beat! nimmt so nicht nur einen bestimmten Blick ein, sondern breitet ein Feld verschiedener Blickwinkel aus – indem jeder von ihnen zur speziellen Behausung seiner medialen Bedingungen wird.

Leonie Kellein (*1993) arbeitet in den Bereichen Film, Video und Skulptur. In ihrer forschungsbasierten künstlerischen Praxis testet sie die Durchlässigkeit von Materie und Materialität, indem sie komplexe Erzählungen über Trauma, verkörpertes Wissen und historische Kontinuitäten entwickelt. Sie ist Absolventin der Hochschule für bildende Künste Hamburg und der Goldsmiths University of London. Ihre Arbeiten wurden unter anderem im Weltkunstzimmer Düsseldorf, im Münzenberg Forum, Berlin, beim Internationalen Filmfestival Visons du Réel, Nyon, in der APT Gallery, London, und beim FID International Filmfestival, Marseille, gezeigt. Leonie Kellein lebt und arbeitet in London und Hamburg.

Dina El Kaisy Friemuth: Sheut – The Other You. No History at All Chapter 2 (2022)

Wie wird Geschichte sichtbar? Und was erzählt dieses Sichtbarwerden selbst? Dina El Kaisy Friemuth beschäftigt sich in ihrer Arbeit Sheut – The Other You. No History at All Chapter 2 damit, wie Fragen von Gemeinschaft und Zugehörigkeit durch das Teilen von Geschichten verhandelt werden – und von welchem Punkt diese Erzählungen ausgehen. Dafür platziert Dina El Kaisy Friemuth einen großen Teppich inmitten des Raumes, der seinen weißen Wänden eine fast häusliche Atmosphäre entgegensetzt. Hier wird über Sheut, das altägyptische Konzept von Seele, gesprochen, und darüber, wie diese unsichtbare Idee von Innerlichkeit durch Momente des Teilens aufscheint. Gleichzeitig sind die Fenster mit halbtransparenten, strahlend roten Foto-Comics überzogen, die das Äußere der Institution zur Oberfläche für weitere Geschichten machen. Was geschieht mit der Sheut, wenn Objekte wie antike Büsten und Statuen nicht mehr schweigen, sondern ihre koloniale Vergangenheit artikulieren? Die seriell angelegte Arbeit Sheut – The Other You. No History at All Chapter 2 schafft einen geschützten Raum für Momente des Zusammenseins, die scheinbar keine materielle Grundlage oder Konsequenz besitzen, aber politisch und historisch wirksam werden – und durch persönliche Bezüge dekoloniale und kritische Narrative aufmachen.

Dina El Kaisy Friemuths Praxis hinterfragt Gender, Ethnizität und Klasse und zielt darauf ab, Umgebungen zu schaffen, die marginalisierte Stimmen in den Mittelpunkt stellen. Ihre aktivistische Praxis entsteht oft in Zusammenarbeit mit anderen Kulturschaffenden und beinhaltet kuratorische Projekte, Texte, Performances und Videoarbeiten. El Kaisy Friemuth (*1988) lebt und arbeitet in Berlin und ist Mitbegründerin* des Kollektivs Feminist Collective With No Name mit Anita Beikpour. Sie schloss ihr Studium 2016 an der Königlich Dänischen Akademie der Bildenden Künste in Kopenhagen ab und studierte an der Universität der Künste Berlin. Zu ihren jüngsten Ausstellungen gehören No History At All, solo O-Overgaden, Kopenhagen; die 11. Berlin Biennale; Ariel, Kopenhagen, 1-1, Basel; Bergen Konsthall und 55-11 Gallery,New York. El Kaisy Friemuth war Initiatorin* und Mitglied mehrerer Künstlergruppen und Netzwerke wie The Cultural Workers Union for People of Colour (Dänemark), Another Dinner Ruined (Beirut) und Speculative Bitches (Berlin).

Termine

2022

17. Juli 15 Uhr Öffentliche Führung mit Francisca Markus, Kunstvermittlerin
25. Juni 15 Uhr Öffentliche Führung mit Agnieszka Roguski, Kuratorin der Ausstellung
12. Juni 15 Uhr Öffentliche Führung mit Francisca Markus, Kunstvermittlerin
28. Mai 16 Uhr Öffentliche Führung mit Francisca Markus, Kunstvermittlerin
14. Mai 15 Uhr Ausstellungeröffnung