Kuratorisches Essay
23. April 2025
1. Ökologie
Was bedeutet „Ökologie“ heute – und was kann sie im Kontext der Kunst leisten? Diese Ausstellung konzentriert sich auf ein erweitertes Verständnis von Ökologie: nicht nur als Lehre oder Studium von Natur und den Mensch-Natur-Beziehungen, sondern als Praxis des sorgsamen Zusammenlebens – zwischen Menschen, Tieren, Pflanzen, Mikroorganismen und Dingen.
Ökologie kommt vom griechischen Wort oikos, was „Haus“ oder „Haushalt“ bedeutet, und bezieht sich auf die Erforschung der Welt. Ökologie fragt, wie wir leben, wie wir teilen, uns kümmern und Verantwortung für unseren Haushalt und die Welt übernehmen. In diesem Sinne geht es auch um eine menschen- und planetengerechte Ökonomie – darum, wie wir Ressourcen nutzen, wie wir produzieren und konsumieren und wie wir über andere in mehr-als-menschlichen Kontexten denken. Inspiriert ist dies von feministischen Denkerinnen wie Donna Haraway und Lynn Margulis. Margulis beschreibt kurz gesagt, dass evolutionäre Entwicklungen nicht durch Konkurrenz, sondern durch Symbiose entstanden sind – durch die Zusammenarbeit verschiedener Organismen. Der menschliche Körper ist grundsätzlich nicht allein – biologisch gesehen sind unsere Körper mit anderen Lebewesen verflochten. Man könnte sagen, dass unsere Körper Teil eines Metaorganismus sind.
Auf die Kultur bezogen ist ein „Individuum“ in ein gesellschaftliches Netzwerk lokaler Beziehungen und globaler Verflechtungen eingebettet. Donna Haraways Konzept “NaturKultur” bricht daher mit der binären Unterscheidung zwischen Natur und Kultur: Ökologisches Handeln bedeutet, diesen Dualismus der klaren Grenzen zwischen „Natur“ und „Kultur“ zu verlernen.
Die Ausstellung möchte Kunst als diese Form ökologischer Praxis etablieren. Es geht nicht nur darum, die Natur abzubilden oder die Klimakrise zu visualisieren, sondern um das Experimentieren mit neuen Formen des Zusammenlebens. Dazu gehört auch, wie Ausstellungen gemacht werden: mit wiederverwendeten Materialien, längeren Planungsphasen und zeitaufwändigen kollaborativen Prozessen, mit Verantwortung gegenüber dem bereits Vorhandenen. So wird die Ausstellung selbst zu einem dynamischen Prozess, der sich im Laufe der Zeit verändert. Sie ist kein fertiges Produkt, sondern ein Raum für Forschung, Begegnung und Reflexion – gemeinsam mit Künstler:innen, Wissenschaftler:innen, lokalen Expert:innen und allen Interessierten.
2. Künstlerische Forschung
Die Ausstellung präsentiert Kunst als eine Form der Forschung – kritisch zu beobachten, nachzufragen, zu analysieren und neue Perspektiven zu entwickeln um mit der Welt neu in Beziehung zu treten. Es geht nicht nur darum, „präsentable“ Objekte zu schaffen, sondern Verbindungen sichtbar zu machen, die im Alltag oft übersehen werden.
Künstlerische Forschung als Praxis weicht sowohl vom künstlerischen Schaffen als rein persönlichem oder verinnerlichtem Ausdruck als auch von kontemplativer Kunst ab, die in distanzierter Beobachtung verharrt. Es geht um eine aktive, engagierte und körperliche Praxis. Spezifisch für dieses Projekt ist der Fokus auf evidenzbasierte ökologische Fragen. Die Künstler:innen nähern sich diesen Fragen mit Methoden, die an wissenschaftliche Arbeit erinnern – Beobachtung, Experiment, Austausch und Reflexion –, jedoch mit eigenwilligen, unscharfen, disziplinen-übergreifenden und ästhetisch öffentlich wirksamen Mitteln, die der Kunst eigen sind.
Diese Form der künstlerischen Forschung ist nicht neutral. Sie hinterfragt Machtverhältnisse, Normen und Systeme. Sie hinterfragt, wer Wissen produziert, wer es wie vermittelt und wessen Stimmen gehört werden. Lokale Perspektiven, Alltagswissen und sinnliche Erfahrungen spielen eine wichtige Rolle – nicht nur „harte Fakten“, sondern auch Geschichten, Beziehungen und Erfahrungen.
Forschungsbasierte Kunst bedeutet nicht, dass Kunstschaffende wie Wissenschaftler:innen agieren, sondern dass sie nach neuen Wegen suchen, Wissen zu erwerben und zu vermitteln. Die Ausstellung lädt auch die Besucherinnen und Besucher zum Nachdenken und zur Partizipation ein.
3. Situiertes Wissen
Was wir wissen, hängt von unserer Position ab, davon, wo wir sind und wie wir leben. Wissen ist nicht neutral. Es entsteht nicht aus dem Nichts, sondern aus einer bestimmten Position heraus, an einem bestimmten Ort, in bestimmten Beziehungen, durch bestimmte Erfahrungen, die durch Klasse, Geschlecht und Ethnizität geprägt sind. Jeder Wissensprozess ist daher situativ und partiell – eingebettet in soziale, historische und physische Kontexte.
Die Wissenschaftlerin Donna Haraway spricht von „situiertem Wissen“ und kommt zu dem Schluss, dass man seine eigene Position anerkennen muss, um volle Verantwortung übernehmen zu können. In der Kunst wie in der Wissenschaft ist das eine Haltung – aufmerksam, kritisch und offen für andere Perspektiven.
Wichtig ist, Neutralität nicht mit Objektivität zu verwechseln. Neutralität bedeutet, keine Haltung einzunehmen – eine Position, die vorgibt, außerhalb der Dinge zu stehen. Aber genau das ist nicht möglich. Objektivität hingegen – im wissenschaftlichen Sinne – ist der Versuch, eine Reihe von Fakten methodisch zu untersuchen und sie so verständlich und überprüfbar wie möglich darzustellen. Dabei spielen Reproduzierbarkeit, Transparenz und Übertragbarkeit eine wichtige Rolle. Situiertes Wissen kann daher auch objektiv sein – aber es ist sich seiner eigenen Bedingungen bewusst – eine „situierte Objektivität“.
Die künstlerische Praxis in diesem Projekt ist ebenfalls verortet: Sie reagiert auf konkrete Bedingungen, auf Menschen, Räume, Materialien. Sie beobachtet, hinterfragt, macht sichtbar – ohne zu verallgemeinern. So entstehen neue Formen des Wissens, die zwischen Alltag, Forschung und Kunst liegen.
4. Translokalität
In einer globalisierten Welt stehen wir ständig mit anderen Orten, Menschen, Produkten und Dingen in Verbindung. Diese Verflechtungen sind meistens ungleich verteilt – manchmal ausbeuterisch – und von Machtverhältnissen geprägt. Diese Ausstellung versteht Translokalität als eine Praxis des bewussten Austauschs zwischen unterschiedlichen Kontexten.
Translokales Arbeiten bedeutet nicht, überall gleichzeitig zu sein, sondern genau hinzuschauen, was wo zutrifft – und was nicht. Es bedeutet, sich nicht auf vermeintliche „globale“ Wahrheiten zu verlassen, sondern Unterschiede und Übersetzungsprozesse ernst zu nehmen. Es geht um Verbindungen, aber ohne Homogenisierung.
Für diese Ausstellung bedeutet das, dass wir die Perspektiven, Orte und Erfahrungen, aus denen Wissen entsteht, ernst nehmen. Wir hören Geschichten, Erfahrungen und Praktiken, die sich hier mit lokalen Expert*innen im ländlichen Norden Deutschlands entwickelt haben. Und wir verbinden sie mit anderen Perspektiven: aus Kunst, Wissenschaft, anderen Regionen und anderen kulturellen Blickwinkeln.
So entsteht ein Austausch auf der Grundlage von Wechselseitigkeit. Es geht nicht darum, Wissen „anzuwenden“ oder von einem Ort zum anderen zu transferieren, sondern Unterschiede anzuerkennen und Beziehungen sorgfältig zu gestalten. Diese translokale Perspektive bedeutet, dass wir keine schnellen Vergleiche anstellen können, sondern aufmerksame. Wir nehmen Veränderungen ernst und achten darauf, wo Gemeinsamkeiten bestehen – und wo nicht.
Gleichzeitig wird Identität in diesem Projekt nicht als feste Kategorie behandelt. Vielmehr fragen wir: Wer spricht von wo? Für wen? Und mit wem? Das gilt auch für aktuelle Diskussionen über Identitätspolitik. Es geht nicht darum, Identität abzulehnen – sie ist wichtig und oft die Grundlage für legitime Forderungen. Wenn sie jedoch starr wird, besteht die Gefahr, dass solidarisches Engagement zu ausgrenzender Politik wird.
Translokale Arbeit bedeutet, diese Spannungen auszuhalten. Es geht darum, Gemeinsamkeiten zu finden, ohne Unterschiede zu verschleiern. Es bedeutet, sich mit fremden Kontexten auseinanderzusetzen – und die eigene Position ständig zu überdenken.
In diesem Sinne ist Translokalität eine offene Bewegung zwischen Orten. Sie ist weder global noch lokal, sondern etwas dazwischen: ein Netzwerk von Beziehungen, bestehend aus vielen Stimmen – und der Bereitschaft, zuzuhören.
5. Partizipative Ausstellungspraktiken
Eine Ausstellung ist nicht nur ein Ort, an dem Kunstobjekte gezeigt und vermittelt werden. Sie kann auch ein Raum sein, in dem Wissen entsteht – gemeinsam, offen, in einem Prozess. Dieses Projekt versteht die Ausstellung nicht als fertiges Produkt, sondern als sich entwickelnde Konstellation und das Ausstellungsmachen als (kollektive) Wissensproduktion.
Die Ausstellung wächst im Laufe des Jahres, mit jeder Jahreszeit, mit jedem Aufbau. Sie nimmt neue Arbeiten auf, dokumentiert gemeinsame Prozesse und integriert Spuren von Begegnungen – sei es in Workshops, Gesprächen, Performances oder beim Kochen. Das, was gezeigt wird, ist nicht festgelegt. Vielmehr entsteht eine offene Form, die sich mit der Praxis verändert.
Gleichzeitig steht die Ausstellung nicht für sich allein. Sie ist Teil eines sozialen Prozesses, der auf Austausch ausgerichtet ist. Kunstwerke stehen hier nicht isoliert im Raum, sondern in Beziehung zu Menschen, Materialien und Situationen. Besucher:innen sind nicht nur Zuschauer:innen, sondern oft auch Teilnehmende – durch Diskussionsformate, durch Mitwirken, durch gemeinsames Handeln.
Auch die Gestaltung der Ausstellung folgt diesem Ansatz: Viele Elemente bestehen aus recycelten Materialien, sind mobil, können verschoben, angepasst und neu angeordnet werden. Anstelle von glatten Oberflächen gibt es Gebrauchsspuren. Diese Ästhetik ist nicht zufällig – sie folgt einem Prinzip der Nachhaltigkeit, des bewussten Umgangs mit Ressourcen. Der Produktionsprozess selbst wird Teil der kuratorischen Praxis für die Ausstellung.
Die Ausstellung wird zu einer Kontaktzone, in der Wissen, Alltag und künstlerische Praktiken aufeinandertreffen. Hier geht es nicht nur um Repräsentation, sondern um gemeinsames Denken und Handeln – in einer Form, die sich ständig selbst hinterfragt.
In diesem Zusammenhang bedeutet Partizipation nicht einfach „mitmachen“, sondern die Anerkennung anderer Wissensformen, Perspektiven und Körper. Sie macht die Ausstellung zu einem Ort, an dem künstlerische Forschung, lokales Fachwissen und soziale Themen auf Augenhöhe aufeinandertreffen.