Rückblick auf das Herbst-Assembly

Ronald Kolb, 7. Oktober 2025

Die Herbst-Assembly war die dritte Zusammenkunft im Rahmen des Ausstellungsprojekts „Kunst als ökologische Praxis” im M.1 Arthur Boskamp-Stiftung in Hohenlockstedt. Nach der Sommer-Assembly mit dem Titel „Walking, Talking, Working – Queering Landscape & Liquid Ecology” wandte sich die Herbstsaison unter dem Titel „Collect, Preserve, Enjoy – The Power of Abundance & the Art of Sharing” den Themen Ernte, Konservierung und Verteilung zu und legte den Schwerpunkt auf Überfluss.

Die Herbstversammlung entfaltete sich als ein Fest der Fülle – mit Kartoffeln, Algen, Sauerteig, Colapflanzen, Konserviertem, Blumensträußen, Filmen und Geschichten. Was dabei entstand, war keine Akkummulation, sondern eine Praxis des Teilens und der Großzügigkeit: des aktiven Zuhörens, Konservierens, Fermentierens, Verkosten, Teilens, Erinnerns und Imaginierens. Durch das vielfältige, teils überfordernde Programm aus Ritualen, Workshops, Vorträgen, Performances und Ausstellungen vertiefte die Versammlung die zentrale Frage des Projekts: Wie kann Ökologie als Kunst des Teilens gelebt und praktiziert werden – in Zeiten ökologischer Krisen und sozialer Transformation? Die Herbstversammlung bot eine mögliche Antwort: indem man Fülle nicht als Überfluss feiert, sondern als eine relationale Kraft, die durch Geben wächst.

Wie bei früheren Versammlungen verfolgte das Projekt nicht nur künstlerische Präsentationen, sondern auch gelebte ökologische Praxis. Lebensmittel und Materialien wurden lokal bezogen und gemeinsam zubereitet: Überschüssiges Gemüse aus dem Bio-Bauernhof von Raphaela Kuhn und Bastian Weber in Springhoe wurde von Seraina Grupp zusammen mit Marle Rudolph und Tabea Möllgaard in der Taste Library konserviert und neu interpretiert; Kartoffeln, die bei der Frühjahrs-Assembly mit Daniela Zambrano Almidón gepflanzt worden waren, wurden geerntet und in rituellen Narrativen gebraucht; und die partizipative Kochperformance von Byungseo Yoo verwandelte Teig in Plattformen für soziale Choreografie. Maya Minders Workshop brachte “Landnahrung” (Kartoffeln) und Meeresfrüchte in Form von Seetang in einem gemeinsamen Rezeptworkshop zusammen. Die in Tokio lebende Künstlerin Myu Hanaoka präsentierte ihre Vor-Ort-Recherchen mit gefundenen Materialien (Erde und Lebensmittelreste) für das natürliche Färben, die mit dem Projekt Arts of Upcycling von James Jack und Taro Furukata in Verbindung stehen.

An einem Stand bei den Pellkartoffeltagen Hohenlockstedt, dem Erntedankfest des Dorfes, stellten wir die Ergebnisse der ersten beiden Tage der Versammlung vor. Während der gesamten Veranstaltung kamen wir mit zahlreichen Festivalbesuchern ins Gespräch und hatten sehr spannende und lebhafte Diskussionen. Wir teilten unsere Erkenntnisse aus den Aktivitäten der vergangenen Tage und boten kleine Kostproben an.

Die Idee der Fülle – oft missverstanden als Überschuss oder Überfluss – wurde während der Versammlung als relationale Praxis neu definiert: Fülle entsteht durch Kollaboration und Fürsorge, durch die Zyklen der Ernte und Konservierung, durch die neuen und alten Rituale des Teilens von Lebensmitteln, Wissen, Geschichten und Verantwortlichkeiten. Auf diese Weise feierte die Versammlung die Fülle als Gegenmodell zur extraktiven Anhäufung – eine Ressource, die umso mehr wächst, je mehr sie geteilt wird. Dieses Leitprinzip fand seinen Widerhall in den vielfältigen Praktiken, die gezeigt wurden: Kunstwerke, Workshops, Exkursionen und Kochvorführungen, die transdisziplinär zwischen Kunst, Landwirtschaft, Wissenschaft und Alltag stattfanden. Die Teilnehmer waren nicht nur Beobachter, sondern aktive Mitgestalter – sie probierten, kochten, hörten zu, banden Sträuße, fermentierten und trugen ihre eigenen Konserven in die Bibliothek der Aromen.

Tag 1: Wissen teilen – Zuhören als Praxis

Die Assembly begann am Freitag, dem 26. September, mit einer Führung durch die Ausstellungsräume im M.1, gefolgt von einem Vortrag von Maj Hasager, Rektorin der Malmö Art Academy. Hasagers Überlegungen zu sozial engagierter Kunst stellten künstlerische Praxis als langfristiges Engagement für Menschen und Orte dar und betonten Zuhören, Reziprozität und Verantwortung als Schlüsselmethoden der Wissensproduktion. Wir diskutierten die spezifischen Formen dieser eingebetteten Kunstprojekte und ihre Ausstellungsformate sowie die vielfältige Rolle des Publikums als Teilnehmende Mitnutzer:innen und Mitgestalter:innen.

Von hier aus verlagerte sich das Programm auf translokale Begegnungen: Astrid S. Klein stellte ihr Projekt The Power of the Kola – Negotiating the Living vor, das sie gemeinsam mit Prof. Dr. Albert Gouaffo aus Kamerun entwickelt hat. Ihre Erzählung von einer diasporischen Kolapflanze, die in ihre heimische Erde zurückkehrt, entfaltete sich als poetische Meditation über Restitution, koloniale Verflechtungen, ökologische Gerechtigkeit und die komplexen Beziehungen zwischen Menschen und mehr als menschlichen Akteuren. Nach Kaffee und Kuchen versammelten sich die Teilnehmenden, um gemeinsam Kleins einstündige Audiokomposition „To the Red Soil“ anzuhören. Stimmen, Musik und Geschichtenerzählen schufen eine dichte Klanglandschaft aus Erinnerungen und Zukunftsvisionen. Das Zuhören wurde selbst zu einem kollektiven Ritual der Aufmerksamkeit und Fürsorge.

Am Abend verlagerte sich der Fokus auf Geschmack und Bewegung: Seraina Grupp aktivierte die Taste Library zusammen mit Tabea Möllgaard für den Austausch von Konserven und Rezepten, während Byungseo Yoo die Ausstellungshalle mit einer performativen Bühne für Go-Go Sourdough Udon Dancing Platform in eine gemeinschaftliche Kochchoreografie verwandelte. Für diese Veranstaltung stellten wir Udon-Nudeln auf traditionelle Weise her, indem wir den Teig mit Hilfe lauter Musik mit den Füßen stampften ­und damit geschmeidig klopften. Fermentationsprozesse mithilfe von Rhythmus, Choreografie und Dialog – eine verkörperte Metapher für ökologische Zusammenhänge und kollektive Transformation. Der Tag endete mit einem späten Abendessen mit sorgfältig zubereiteten Udon-Nudeln und Kimchi, die in einem Workshop vor dem Treffen hergestellt worden waren.

Tag 2: Ernte-Rituale und Beziehungen zum Ozean

Am Samstag, dem 27. September, begann die Versammlung mit einem Spaziergang zum Garten von Wiebke Habbe, wo Daniela Zambrano Almidón ein Huatia leitete – eine traditionelle andine Zubereitung von Kartoffeln im Erdofen mit heißen Steinen. Die Steine, die aus einem nahe gelegenen Steinbruch stammten, sind historische Zeugnisse des Pleistozäns und den geologischen Veränderungen und wiesen gleichzeitig auf die aktuellen Rohstoffgewinnungsaktivitäten von Bergbauunternehmen in Schleswig-Holstein hin, wie Wiebke Habbe betonte. Das Ritual verband die Teilnehmerinnen und Teilnehmer mit den der Quechua überlieferten Praktiken der Dankbarkeit, der Gemeinschaft und der Sorge um die Erde. Die Ernte wurde zu einem kollektiven Akt der kulturellen Erinnerung, der ökologischen Reflexion und des sinnlichen Genusses.

Die Zubereitung des Huatia war eine gemeinschaftliche Aufgabe, an der viele helfende Hände beteiligt waren – vom Reinigen der Steine und Kartoffeln über das Anzünden des Feuers bis hin zum Bau des Erdofens, indem Blätter geschichtet, die heißen Steine bedeckt und mit Erde versiegelt wurden. Nachdem der Ofen gebaut war, leitete die Künstlerin ein rituelles Dankesritual für den Boden und die Vorfahren, wobei sie den Hügel mit einem gekauften Blumenstrauß schmückte. Diese Geste löste jedoch einen Moment der Spannung aus: Habbe beanstandete, dass industriell produzierte Blumen auf ihrem pestizidfreien Boden verwendet wurden, den sie über viele Jahre hinweg ohne chemische Mittel kultiviert hatte – einen Ort, den sie in einem langen Prozess zu einem Raum ökologischer Integrität entwickelt hatte.

Zurück im M.1 präsentierte Erika Harzer ihren Dokumentarfilm Das Terrassenwunder von Peru, der Einblicke in die jahrtausendealten Terrassenanbausysteme in den Anden bietet. Die Vorführung wurde zu einem Moment der Reflexion über die Weitergabe von landwirtschaftlichem Wissen über Zeit und Raum hinweg. Im Mittelpunkt der Diskussion standen insbesondere die rasante Urbanisierung und die ökonomische Abwertung ökologisch nachhaltig produzierter Lebensmittel.

Die zweite Hälfte des Tages widmete sich den Lebensmitteln aus dem Meer. In einem Hands-On Workshop stellte Maya Minder Algen als ökologische Ressource und kulturelle Praxis vor und verband das Kochen mit spekulativen Überlegungen zur Zukunft unserer kulinarischer Praktiken. Minder gab Einblicke in die weltweite Algenproduktion und die zunehmende Bedeutung von Algen in der Wissenschaft und in globalen Ernährungssystemen. Sie brachte Algen aus aller Welt mit, um mit ihnen zu kochen. Ihre Präsentation ging in einen Workshop zum Erstellen von Rezepten über, bei dem Kartoffeln und Algen als Hauptzutaten verwendet wurden. In Gruppen wurden verschiedene Gerichte zubereitet, die beim Abendessen von allen geteilt und verkostet wurden.

Der Tag gipfelte in der Sonified Kitchen – einer performativen Zusammenarbeit zwischen Minder und dem Klangkünstler Dominique Leroy. Hier wurden die Geräusche des Hackens, Brutzelns und Fermentierens zu einer Live-Komposition verstärkt, die kulinarische Gesten, klangliche Experimente und gemeinsames Kochen zu einer immersiven Performance verband. Die Performance lud dazu ein, bei einem Sotto’Olio mitzuhelfen – die mit dem Kochen verbundenen Handlungen wurden in eine Klangchoreografie übertragen, die der Kochpartitur folgte.

Tag 3: Die Ernte wird beim Dorffest „Pellkartoffeltage” vermittelt

Am Sonntag, dem 28. September, wurde die Assembly auf den öffentlichen Raum von Hohenlockstedt ausgeweitet. Bei den Pellkartoffeltagen begegneten sich die Teilnehmer:innen der Assembly und die Besucher:innen des Stadtfest. Wir brachten unsere Ergebnisse mit, sprachen über die ökologischen Praktiken hinter den Projekten der Assembly und boten Kostproben an – von Grupps Taste Library und Zambranos Huatia-Kartoffeln, die in einem Erdofen zubereitet wurden, bis hin zu Yoos‘ Kimchi-Experimenten und Myu Hanaokas Upcycling-Arbeiten.

Der Abschluss des Tages fand wieder im M.1 mit der zweiten Präsentation von Der Unsichtbare Garten (Hohenlockstedt) statt. Fotografien von Blumensträuße aus wilden und übersehenen Pflanzen, die von Bewohner:innen Hohenlockstedts und benachbarter Dörfer im Sommer zusammengestellt worden waren, waren neu ausgestellt. Dieser letzte Akt der Herbstversammlung zeigte einmal mehr, dass es bei der Ökologie als künstlerischer Praxis nicht um Repräsentation geht, sondern um Beziehungen: zwischen Menschen und Pflanzen, Traditionen und Zukunft, Lokalitäten und Translokalitäten, Ernten und neuem Wachstum.