Rückblick auf das Sommer-Assembly

Ronald Kolb, 23. Juli 2025

“Life on earth is more like a verb. It repairs, maintains, re‐creates, and outdoes itself.”
„Das Leben auf der Erde ist eher wie ein Verb. Es repariert, erhält, erschafft neu und übertrifft sich selbst.“ (eigene Übersetzung)
Lynn Margulis

Einordnung und kontextuelle Rahmung

Für das Ausstellungsprojekt “Kunst als ökologische Praxis” und die dazugehörigen Aktivitäten und Kochperformances wurden gezielt nachhaltige Maßnahmen ergriffen. Viele der verwendeten Lebensmittel stammen von den lokalen Biobauern Raphaela Kuhn & Bastian Weber aus Springhoe, nur drei Kilometer vom M.1 entfernt. Essbare Wildpflanzen wurden von Seraina Grupp in der Umgebung gesammelt. Die Karpfen für das Abendessen kamen von der Fischzucht Knutzen, Gläser und Flaschen wurden durch Andrea Tittel über den Verein Zero-Waste-Itzehoe eingesammelt. Auch bei der Gestaltung der Ausstellung – zusammengetragen und gebaut von Thies Warnke – wurde weitgehend auf Wiederverwertung zurückgegriffen: Viele Materialien stammen aus dem eigenen Kellerbestand oder wurden über die Initiative Schrott Bewahre in Hamburg organisiert.

Diese materiellen Entscheidungen spiegeln auch den inhaltlichen Anspruch der Assembly wider: Dieses Projekt will über die bloße Darstellung von Natur hinausgehen. Es fragt danach, wie Ökologie gelebt und praktiziert werden kann – im Miteinander, in Sorge und Verantwortung füreinander und für unsere Umgebung. Es versteht Ökologie als eine fürsorgende Ökonomie, als verantwortungsbewusstes Haushalten jenseits von kurzfristigem Profit, Ausbeutung oder Konkurrenz.

Die Überlegungen der Ausstellung folgen daher einem Leitspruch der Evolutionsbiologin Lynn Margulis:

“Life on earth is more like a verb. It repairs, maintains, re creates, and outdoes itself.”

(„Das Leben auf der Erde ist eher wie ein Verb. Es repariert, erhält, erschafft neu und übertrifft sich selbst.“)

Margulis hat gezeigt: Evolution ist nicht nur „Survival of the Fittest“ (also bestmögliche Anpassung zum Überleben), sondern ein ständiges in Kontakt sein. Leben entsteht so nicht primär durch Konkurrenz, sondern durch Symbiose, durch ein ständiges In-Beziehung-Sein. In der Wissenschaft spricht man daher heute in diesem Zusammenhang von Metaorganismen – komplexen, lebendigen Netzwerken, in denen mikrobische, pflanzliche, tierische und menschliche Akteur:innen kollaborieren. Ergänzt wird diese evolutionsbiologische Erkenntnis mit dem Begriff NatureCulture, der auf die Verflechtung von Natur und Kultur hinweist. Die Philosophin und Biologin Donna Haraway prägte den Begriff „NatureCulture“ – bewusst ohne Bindestrich, um deutlich zu machen, dass Natur und Kultur nicht als Gegensätze gedacht werden können, sondern untrennbar miteinander verflochten sind. Die beiden Sphären sind ko-evolutionär – sie entstehen, verändern und beeinflussen sich wechselseitig .

Um konkret zu werden:
Wenn wir einen Garten pflegen, handelt es sich nicht einfach um „Kultur“ in der „Natur“ – vielmehr entsteht dort etwas, das weder rein natürlich noch rein kulturell ist. Pflanzen wachsen im Garten natürlich – aber ihre Auswahl, Anordnung, Pflege folgen kulturellen Praktiken, Idealen, Geschmäckern. Hinzu kommen unvorhergesehen Ereignisse im Garten, die sich menschlicher Kontrolle entziehen und eine Reaktion auslösen. Ein Garten ist so gesehen ein Geflecht aus beidem – ein hybrides, ko-evolutionäres Gefüge.

Diese Perspektive zieht sich durch alle Projekte der Ausstellung:
Kein abgeschlossener Raum, sondern ein lebendiger Raum für Kontakt, für gemeinsame Erfahrungen, für Austausch, für Aushandlungen und auch Reibungen. Die Kunstwerke stehen nicht isoliert im Raum, sondern in Beziehung – zu Menschen, zu Materialien, zu Orten und Situationen. Besucher:innen sind nicht bloß Zuschauer:innen, sondern oft auch Mitgestaltende in Gesprächen, durch Mitwirkung in Workshops, im gemeinsamen Handeln.

Bei all dem geht es darum, unsere Beziehungen neu zu denken – zu Böden, Gewässern, Tieren, Pflanzen – aber auch zu Produktionsweisen, Konsum, Biodiversität, Monokultur und der Rolle der Wissenschaft.

Die Sommer-Assembly 2025 zeigte einmal mehr, dass Kunst als ökologische Praxis nicht in der Repräsentation, sondern in der geteilten Handlung, im Prozess und in der Beziehung liegt. Sie war ein vielstimmiges Ereignis zwischen Wissenschaft, Kunst, Aktivismus, Landwirtschaft und Alltagswissen – und wurde dabei selbst zum lebendigen „NatureCulture“-Gebilde.

Tag 1: Wasser, Landschaft und die Praxis des Gehens

Die Sommer-Assembly hatte ein dichtes Programm unter dem Titel „Wandern, Sprechen, Handeln – Queering Landscape & Liquid Ecology“. Der erste Tag widmete sich dem Thema Wasser – als ökologisches, soziales und künstlerisches Element, eingebettet in eine performative Wanderung durch die Umgebung von Hohenlockstedt.

Nach einer einführenden Rede, in der auf die Konzepte von Margulis und Haraway eingegangen wurde, wurde deutlich: Diese Assembly versteht Landschaft nicht als stumme Kulisse, sondern als aktives Gegenüber – als durchlässiges Territorium von Begegnungen, Verhandlungen und Fürsorge. Der Spaziergang wurde zur Methode, um in Beziehung zu treten: mit dem Gelände, mit anderen Körpern, mit Geschichten und Wissensformen.

Marta Musso und Riikka Tauriainen luden uns ein, für das Plankton Studio Wasserproben zu entnehmen. Unterwegs im nahegelegenen Naturreservat lernten wir über die unsichtbare Welt des Plankton, ihrer mannigfaltigen Formen und diskutierten die Rolle des Plankton als Indikator für Wasserqualität und ökologisches Gleichgewicht, über die enorme Vielfältigkeit von Plankton, – übertragen auf Kultur – einem menschlichen Gender-Binarismus entgegen steht und interessante Metaphern des Queeren bereit hält. So wurde unser Spaziergang zu einem Ort des Austauschs zwischen Kunst, Wissenschaft und Öffentlichkeit – ein erster Kristallisationspunkt für das Zusammendenken von Lebewesen, Umwelten und Wissenssystemen.

Im Anschluss präsentierte Michael Hiltbrunner auf der Wiese an der Lohmühle das Prinzip des Mutualismus – symbiotische Formen des Zusammenlebens – anhand seiner Ausstellung “Schimelrych bis Chrottehalde” im Rehmann Museum Laufenburg (CH). Seine Reflexion zeigte die Herausforderungen an Kunstwerke, die in direktem Kontakt mit teilweise widerständigen Naturprozessen in das Werk eingreifen, nicht immer zur Freude der und Künstler:innen.

Zurück im M.1 führten Dea López und Emilio Hernández Martínez den performativen Workshop „How to Carp?“ durch – eine anthropophagische Übung mit dem Karpfen als kulturelle Figur, als Vermittlungsfigur für Mensch-Tier-Beziehungen. Das kollektive Kochrituale, das um die von den Künstler:innen neu errichtete Feuerstelle im Garten des M.1 stattfand, stand im Mittelpunkt. Zum Ende wurde der Karpfen umwickelt mit Ton, entnommen aus einem Teich in Itzehoe, auf Holzkohle zubereitet und buchstäblich einverleibt.

Den Abend leitete die Eröffnung des partizipativen Projekts „Der Unsichtbare Garten“ von Camilla Berner ein. Ihre ortsspezifische Arbeit fokussiert auf Pflanzen, die meist als „Unkraut“ übersehen oder entfernt werden. In Zusammenarbeit mit lokalen Akteur:innen entstanden Wildblumensträuße, die dokumentiert und im M.1 ausgestellt wurden. Diese floralen Konstellationen stehen für ein Sichtbarmachen des Alltäglichen und ein Plädoyer für Biodiversität jenseits normierter Ästhetiken. Das Projekt steht exemplarisch für das Anliegen der Assembly: das scheinbar Unsichtbare sichtbar machen, das Alltägliche politisch denken und neue Beziehungen zwischen Mensch, Pflanze und Raum herstellen.

Den Abschluss des Abends bildete die performativ aktivierte Rauminstallation der Studierenden der Muthesius Kunsthochschule, Kiel aus dem Studiengang Raumstrategien unter der Leitung von Frauke Gerstenberg und Leon Bischinger. In ihrer Intervention thematisierten sie die Ambivalenz des Hausgartens mit Hilfe einer elaborierten Wäscheleine-Installation und “sprechenden” Wäschestücken. Der Garten wurde so ein Schwellenraum zwischen Privatheit und Öffentlichkeit, zwischen Ausschluss und Austausch.

Tag 2: Jenseits der Monokultur – Begegnungen im Feld

Der zweite Tag befasste sich mit den Beziehungen zwischen Monokultur und Gesellschaft, mit kultureller Normierung, rassistischen Strukturen und sich entgegenstellender Vielfalt – sowohl in Natur als auch Kultur.

Mit dem Format „Beyond Monoculture – Toward a Choir in the Fields“ lud das Kollektiv Field Narratives (Sascia Bailer, Andreas Doepke, hn. lyonga und Lene Markusen) zu einem Spaziergang ein, der zur performativen, postkolonialen Feldforschung wurde. Die Route führte durch lokale Agrarlandschaften, vorbei an privaten Gärten und Biobetrieben – die Teilnehmden wurden mit der eigenen Verwicklung in “monokulturellen” Kontexten konfrontiert. An jeder Station wurden Geschichten geteilt: über biografische Verflechtungen mit und in der Landwirtschaft und über kolonial-kapitalistische Strukturen, die Agrarsysteme bis heute prägen und sich in unschönen Konnotationen von Häuslichkeit und Fürsorge erstrecken können– wenn sie z.B. aus Erfahrungen von erzwungenen Arbeitsverhältnissen der Kolonialzeit stammen. Im Garten von Wiebke Habbe, begleitet von einem Essen von Marle Rudolph, wurden uns lokale Pflanzen und saisonale Zutaten in den Vordergrund gestellt.

Diese Verflechtung von Ernährung, mehr-als-menschliche Begegnung und Kunst wurde anschließend durch Seraina Grupp weitergeführt, die mit den Beteiligten Wildpflanzen sammelte auf dem Weg zum Biohof für ihre sensorische Geschmacksbibliothek – ein wachsendes Archiv experimenteller, lokaler Konservierungspraxen, die in der Sommer Assembly in den Ausstellungsraum Einzug fand.

Die letzte Station in der Wanderung fand auf dem Biohof von Raphaela Kuhn & Bastian Weber statt und hielt einen Workshop von Studierenden der Cultural Studies der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) von Christian Huck bereit. In teilweise konfrontativen Übungen zur Reflexion von Natur-Kultur-Begriffen und stereotypen Zuschreibungen binärer Logiken (Mann-Frau, wild-kultiviert, etc.) wurde das Verhältnis von Sprache, Wissen und kulturellen Vereinnahmungen spürbar verhandelt und auch die enge Verflechtung von NaturKultur spielerisch sichtbar – eingebettet in die landwirtschaftliche Realität der Region.

Am Abend wurde Byungseo Yoo’s „Canteen Fermentation Social“ im M.1 eröffnet. Yoo’s künstlerische Praxis arbeitet mit Fermentation auf mehreren Ebenen. Einerseits bereitet er veganes Essen zu unter Zuhilfenahme fermentierter Methoden, gleichzeitig etabliert er Netzwerke und gibt sein Wissen weiter. So fanden beispielsweise der Assembly vorausgegangene Workshops zu Kombucha und Tempeh statt. Für den Ausstellungsraum hat Yoo eine soziale Skulptur eingerichtet, eine Art Labor für Fermentation mit dazu benötigten Geräten (Dörrmaschine, Fermentationskammer, Kühlschrank, ...) und weiteren Displays zur Vernetzung und Sammlung kollektives Wissens. Eine diagramatische Wandzeichnung wurde begonnen und wird in der Herbst Assembly weitergeführt. Seine Eröffnung verband partizipative Performanz, kollektives Kochen und Essen mit informeller Diskussion zu ökologischer Resilienz und nicht-extraktivem Wissenstransfer.